Thesen zur Definition der Content-Strategie

1. Interaktive, digitale Inhalte

Content-Strategie stellt die Qualität und Wirksamkeit interaktiver, digitaler Inhalte sicher. Aus dieser Hauptaufgabe ergeben sich ihre Besonderheiten und die Unterschiede zu anderen Kommunikations- und Design-Disziplinen.

Der entscheidende Unterschied zwischen digitalen und nicht digitalen Inhalten besteht nicht im materiellen Träger, sondern darin, dass digitale Inhalte in Software eingebettet sind, die bei ihrer Darstellung, Publikation und Produktion beteiligt ist. Digitale Inhalte erlauben Interaktion. Die Nutzerinnen können über Links navigieren, suchen, kommentieren, Inhalte bearbeiten usw. Auch wenn eine Benutzerin einen statischen Text liest, erzeugt sie damit Daten, aus denen sich z.B. ergeben kann, welche Inhalte ihr in Zukunft angeboten werden. Diese Nutzungsmöglichkeiten haben Folgen für die Gestaltung und die Qualität der Inhalte. Content-Strategie und Content-Design stehen für die Entwicklung von mit Software oder Computing verbundenen Inhalten unter dem Gesichtspunkt der optimalen Qualität für die User, nicht ihrer technischen Verarbeitung und Administration.

Anwendungslogik in Verbindung mit Hardware ersetzt und ergänzt die analogen Technologien zur Speicherung und Publikation von Inhalten. Die redaktionellen und publizistischen Methoden, die zu den analogen Technologien gehören, müssen deshalb durch Methoden ersetzt werden, die den digitalen Technologen angemessen sind. Content-Strategie umfasst den Teil dieser Methoden, der für die zielgerichtete Publikation von Inhalten durch Organisationen notwendig ist. Sie baut auf dem Content-Design auf, das an die Stelle der redaktionellen Verfahren in der analogen Welt tritt.

Man kann die Content-Strategie als die digitale Schwester der Redaktion verstehen. Es geht bei ihr aber nicht nur um Online-Redaktion in Sinne der Übertragung publizistischer und redaktioneller Praktiken in ein digitales Umfeld. Content-Strategie ist eine digital native Disziplin, die Wissen um inhaltliche Qualität mit Wissen um digitale Kontexte verbindet, so wie die traditionellen redaktionellen Praktiken Wissen um Inhalte mit Wissen um die Kontexte analogen Publizierens verbinden. Die Komplexität der digitalen Kontexte und das große und sich steigernde Innovationstempo machen Content-Strategie zu einer Disziplin sui generis, die mehr spezifisches Wissen verlangt als die klassische Redaktion. Aber um erfolgreich zu sein, ist auch eine Content-Strategie auf Fachwissen in der Disziplin, für die Inhalte produziert werden, angewiesen.

2. Verbindung von Inhalt, Anwendungslogik und Präsentation

Interaktive, digitale Inhalte sind eine Komponente von Applikationen, die von Fachleuten für Inhalte, Programmierung und Design gemeinsam entwickelt werden.

Digitale Inhalte werden zusammen mit Software benutzt, z.B. in einem Browser, einer App oder einem Reader für digitale Bücher. Die Qualität der User Experience von Inhalten hängt von ihrer Interaktion mit Software und ihrer Darstellung auf digitalen Displays ab. Inhalt, Software und Oberfläche müssen sich gegenseitig optimal unterstützen. Deshalb müssen Coder und Screen- und Interaktionsdesigner sich bei ihrer Entwicklung beteiligen oder Inhalte müssen für bestimmte digitale Umgebungen produziert werden, deren Regeln den Content-Verantwortlichen bekannt sind. Die Ebene des Content-Designs entspricht dabei denen der Software-Entwicklung und des Screen-Designs. Content-Strategie findet auf der Ebene der Software-Architektur und des strategischen Designs statt.

3. Vorrang der User Experience

Content ist ein Bestandteil der User Experience. Die Interaktion mit dem User ist die entscheidende Schnittstelle, an die alle Erfolgsbedingungen von Inhalten geknüpft sind.

Content-Strategie unterscheidet sich von anderen Kommunikationsdisziplinen dadurch, dass sie nicht vom Primat der Botschaft, sondern vom Primat der Userinnen und User ausgeht, und dass sie Inhalt als Komponente der Nutzererfahrung versteht. In jedem Einzelfall muss entschieden werden, ob eine bestimmte Wirkung besser durch Inhalte oder durch die Funktionalität einer Applikation erreicht wird.

Online kontrollieren Userinnen und User die Kommunikationskanäle. Deshalb hängt der Erfolg jedes Online-Inhalts davon ab, dass die Inhalte User-Bedürfnisse erfüllen. Nur wenn die Userinnen und User mit Inhalten ihre Ziele erreichen, dienen die Inhalte auch Geschäftszielen.

4. Geschäftslogik

Heute kann jeder Geschäftsprozess, vom Marketing bis zur Finanzierung, an Applikationen ausgelagert werden, in denen Content eine zentrale Funktion hat. Daraus ergeben sich die konkreten Aufgaben von Content-Strateginnen und -Strategen in Organisationen und Unternehmen .

Content-Strategie ist mehr als Content-Design, weil mit interaktiven Inhalten Geschäftsziele erreicht werden können. Auf einer E-Commerce-Site unterstützen Inhalte unmittelbar den Verkauf. In einem Content-Marketing-Blog helfen Inhalte dabei, Leads zu generieren. Service-Inhalte auf einer Firmen-Website reduzieren Service-Kosten und erhöhen die Kundenzufriedenheit. Immer müssen die Inhalte dazu beitragen, dass eine Applikation ein Nutzerinteresse erfüllt. Nur dann lässt sich mit ihnen auch ein Geschäftsziel erreichen.

Content-Strateginnen und -Strategen sollen Inhalte entwickeln, die Geschäftsziele optimal unterstützen. Sie wirken am Design der digitalen Präsenz einer Organisation aufgrund ihres Wissens über Inhalte und die User-Bedürfnisse nach Inhalten mit.

5. Open Web

Die engste Verbindung von Inhalt und Anwendungslogik besteht bei hypermedialem Content. Deshalb spielt das Web als offene, universale Umgebung für hypermedialen Content eine privilegierte Rolle in der Content Strategie.

Hypermedia sind dadurch definiert, dass bei ihnen die Darstellungsebene zugleich als Steuerungsebene funktioniert. Das Web wurde als universale hypermediale Umgebung entwickelt. Deshalb bietet es mehr Möglichkeiten als andere Umgebungen für interaktive digitale Inhalte. Content-Strategie ist deshalb nicht zufällig vor allem Content-Strategie für das World Wide Web.

Wer Inhalte nutzt, profitiert von der Offenheit dieser Umgebung, die auf Standards basiert. Die Orientierung der Content-Strategie an der bestmöglichen Nutzererfahrung legt es in vielen Fällen nahe, Webinhalte zu publizieren und sich an Verfahren der Webentwicklung zu orientieren.

6. Service Design

Inhalte spielen eine entscheidende Rolle für die zusammenhängende Erfahrung aller Aspekte eines Service und sind kostspielige Assets. Deshalb sollten Content-Strategien applikationsübergreifend angelegt werden.

Aus der Sicht der User und der Organisation, die sie publiziert, sind Inhalte am wirkungsvollsten, wenn sie über einzelne Publikationen und Anwendungen hinaus zusammenwirken und sich in das Gesamtangebot einer Organisation integrieren. Content-Strategie ist deshalb im optimalen Fall ein Teil eines umfassenden Service Designs. Daraus ergibt sich auch eine übergreifende Botschaftsarchitektur.

7. Digital ≠ digitalisiert

Digitalisierte Inhalte sind nicht dasselbe wie digitale Inhalte. Ausschlaggebend für den Bedarf nach einer Content-Strategie ist nicht das Trägermaterial sondern die Integration der Inhalte in digitale Geschäftsprozesse.

Eine Content-Strategie hängt in allen Aspekten davon ab, ob die Beziehungen zu den Kunden im Sinne eines Service-Designs gestaltet sind und damit so, wie es einem aktuellen, im Kern an der Digitalisierung orientiertem Organisationskonzept entspricht. In ein solches Konzept ist Online-Kommunikation eingebunden, unabhängig von der Präsentationsform einzelner Inhalte. Eine Content-Strategie bezieht dann alle Touchpoints der Userinnen und User mit den Inhalten einer Organisation ein.

Lediglich digitalisierte Inhalte, die unabhängig von Interaktion und User-Interessen publiziert werden, können nicht das Ergebnis einer Content-Strategie in dem hier beschriebenen Verständnis sein.

Work in Progress.

Letzte Version: Heinz Wittenbrink, 2017-06-28. Twitter: @heinz

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